Verzicht auf Kinder für das Klima?

Belastet ein Kind das Klima mit rund 60 Tonnen CO2 pro Jahr? Wir zeigen, warum diese Zahl falsch ist. Der Film-Beitrag dazu stammt aus der Sendung nano vom 19. April 2024.

Auf Facebook wurde uns kürzlich vorgeworfen, wir würden die Wirkung von Kindern auf die Klimaerwärmung und die Energiewende ignorieren. Als Beweis, dass ein zusätzlicher Mensch viel mehr CO2 verursacht als ein Langstreckenflug pro Jahr, folgte eine Grafik, mit dem Kommentar «Gemäss Studie».

Säulendiagramm vergleicht ein Kind weniger mit Auto abschaffen, Verzicht auf Atlantikflug u.a.m. Die Kind-Säule überragt alle anderen bei Weitem.
Diese Grafik zeigt fast 60 Tonnen CO₂-Einsparpotenzial pro Kind und Jahr – sie stammt aber nicht aus einer Studie. (Screenshot Facebook, bearbeitet)

Die Zahl von durchschnittlich fast 60 Tonnen CO2 hält einer Überprüfung aber in keiner Art und Weise stand. Sie ist in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft bis falsch:

  • Die Zahl stützt sich auf eine einzige Studie von 2009, mit Zahlen von 2005.
  • Diese Studie berechnete Klimafolgen für mehrere Generationen in der Zukunft mit den Zahlen aus der Vergangenheit.
  • Die Zahl ist ein Durchschnitt über nur gerade drei sehr unterschiedliche Länder.
  • Eines der drei Länder sind die USA, die den Wert stark nach oben verzerren.

Studien zu den Klimawirkungen von Kindern sind rar

Die Grafik stammt wohl aus einem Artikel von Felix Austen aus dem Jahr 2019. Die Daten sind einer Studie der «Environmental Research Letters» entnommen, erschienen im Juli 2017.

Für diese Arbeit haben die Autoren Seth Wynes und Kimberly Nicholas nur entwickelte Länder berücksichtigt, ihre Quellen stammen aus den Jahren 2007 bis 2016. Die Daten wurden in der Grafik von Felix Austen grob vereinfacht. Dass es bei den Zahlen für Kinder eine grosse Bandbreite gibt, ist nicht mehr sichtbar.

Zahlen zu Kindern in den USA, Russland und Japan

Die ursprünglichen Arbeit bezifferte den Durchschnitt für «entwickelte Länder» mit 58,6 t CO2e. (Das e steht für Äquivalent, das heisst andere Klimabelastungen wurden in CO2 umgerechnet.) Im Durchschnitt enthalten sind lediglich Japan, Russland und die USA.

Wynes und Nicholas haben unter allen Studien, die sie finden konnten, jene berücksichtigt, welche die höchsten Zahlen pro Kind ermittelte. Die erstaunlich hohen Werte kommen daher, dass auch Nachfahren in die Rechnung einbezogen wurden – ganze sieben Generationen, wie im Filmbeitrag oben erwähnt wird.

Fazit: Veraltete und auf zweifelhafte Weise berechnete Zahlen aus total verschiedenen Ländern können nichts aussagen über ein Kind in der Schweiz, das heute geboren wird. Um die Bandbreite aufzuzeigen, führen wir sie hier trotzdem auf.

Land CO₂e pro Kind
Japan 23,7 t/Jahr
Russland 34,3 t/Jahr
USA 117,7 t/Jahr
Wie könnte ein Durchschnitt relevant sein, wenn die Zahlen so weit auseinander liegen?

Kinder belasten das Klima immer weniger

Die Schweiz hat sich verpflichtet, das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen. Die Emissionen pro Mensch müssen also über die nächsten 25 Jahre fortlaufend abnehmen. Falls das Ziel verfehlt würde, wären nicht die Kinder von heute dafür verantwortlich, sondern deren Vorfahren, also die Erwachsenen.

Pauschal von einem durchschnittlichen Klima-Fussabdruck pro Kind zu sprechen, ist aber noch aus weiteren Gründen falsch. Es kommt ja nicht nur darauf an, wo ein Kind lebt, sondern auch noch wie.

Lebensstil und Erziehung

Ein Kind, das in bescheidenen Verhältnissen aufwächst oder in einer Familie, die Klimaschutz ernst nimmt, hat deutlich weniger Anteil an der Klimaerwärmung als ein Kind, das in eine wohlhabenden Familie geboren wird, in der Fliegen und Autofahren zum Lebensstil zählt.

Fazit: Eine Zahl für ein Kind macht keinen Sinn

Die Anzahl Menschen wird mit der Zeit immer weniger wichtig, wenn die Emissionen der Gesellschaft abnehmen. Der Lebensstandard sorgt aber auch in Zukunft für riesige Unterschiede.

Ob der Verzicht auf Kinder eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen kann, ist wissenschaftlich nicht belegt.

Berechnungen pro Kind als Durchschnitt sind darum wenig sinnvoll. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass es keine aussagekräftigen Studien gibt? «Ob der Verzicht auf Kinder eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen kann, ist wissenschaftlich nicht belegt», schreibt dazu das ZDF.

Kinder sind auch eine Chance für das Klima

Ein Kind, das in der Schweiz aufwächst, hat beste Chancen, in Zukunft zur Lösung von Klima- und Energiefragen beizutragen. Oder, wie es der Psychologe und Ethiker Matthias Kettner im Film treffend ausdrückt: «Man könnte umgekehrt ja sagen, die Welt ist so schlecht, dass sie jeden Menschen, der gut erzogen ist […], braucht, um unter anderem auch gegen die Klimakatastrophe anzukämpfen.»

So hat sich denn auch Felix Austen, der Urheber der vereinfachten Grafik, für ein Kind entschieden, wie seinem eingangs verlinkten Artikel zu entnehmen ist.

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